Guter Appetit: Alles andere als ein Luxusproblem! (Tipp des Monats)

Appetit klingt attraktiv, vielleicht aber auch nach Luxus, dabei handelt es sich um ein äußerst wichtiges Vitalphänomen, also eine Lebenserscheinung. Daher ist die bei der ärztlichen Anamnese oft scheinbar nebenher gestellte Frage– „Und wie schaut’s mit dem Appetit aus?“ – keinesfalls eine Lappalie.

Zunächst wird mit Appetit ein lustvolles Verlangen auf Nahrung, oft auf spezielle Nahrungsmittel oder Zubereitungen bezeichnet. Im Zusammenhang mit „lustvoll“ mag interessant sein, dass die Appetitlosigkeit, im Fachjargon Inappetenz, außer in Bezug aufs Essen in der Medizin und Psychologie noch in Bezug auf Sex vorkommt, als sexuelle Inappetenz, u.a. ein Zeichen für Depressionen. Zwischen Gemütslage und Appetit gibt es wichtige Verbindungen: Im Rahmen von depressiven Episoden kann massiver Appetit- und in der Folge dramatischer Gewichtsverlust auftreten, dies ist dann keinesfalls Anzeichen einer Essstörung, sondern Hinweis auf das Ausmaß der Depression.

Mangelnder Appetit kann viele Ursachen haben, von schwerwiegenden Erkrankungen über Geruchs- und Geschmacksstörungen bis hin zum „normalen“ Alterungsprozess, dem in Bezug auf den Appetit eine gewisse biologische „Weisheit“ unterstellt wird: Der Appetit bildet sich zurück, denn mit zunehmendem Alter bewegt sich der Menschen weniger und sollte daher auch weniger essen. Aber gerade bei alten Menschen können wir beobachten, wie sehr der Appetit mit der Gemütslage korrespondiert: Der Appetit auf Lebensmittel und Speisen ist häufig ein Zeichen für den Appetit auf Leben überhaupt. Mit anderen Worten, solange der Senior noch mit erkennbarem Appetit isst, besteht noch Lebenswille.

Appetit und Gemüt, da besteht eine teils dramatische Wechselwirkung. Aus Studien zu „Appetitzüglern“, also Schlankheitspillen und Abnehmspritzen, weiß man, dass die Hemmung des Appetits zu einer Hemmung der Lebensqualität und Lebensfreude führen kann, die Betroffenen also trotz deutlich sinkendem Gewicht (worauf sie immer gehofft hatten!) nicht fröhlicher, sondern depressiver werden und sich schlechter psychisch regulieren können, bis hin zu Selbstverletzungspraktiken und einer gesteigerten Suizidalität. Kritiker, die die Geschichte der Abnehm-Medikamente beleuchten, werfen der Pharmaindustrie Vertuschung vieler Suizide vor, die teilweise selbst in den Studien aufgetreten sein sollen.

(Nicht nur) Psychotherapie dient dazu, den Appetit auf Leben wieder zu entdecken oder zu steigern. Das klingt zwar zunächst gut, ist aber nicht ganz ungefährlich: Menschen, die diesen „Appetit“ (wieder) entdecken, wenn sich die depressive Glocke über den Gefühlen und Bedürfnissen hebt und sie ein besseres Leben für möglich oder gar wahrscheinlich halten, können für ihre Kollegen, Arbeitgeber, Partner und Angehörigen zum Risiko werden, und auch für sich selbst, wenn sich dieser Appetit im Alltag nicht befriedigen lässt. Nun aber zurück zum Appetit auf Essen bzw. zum Appetitmangel:

In der Ganzheitsmedizin gibt es eine Reihe von Tipps zur Anregung oder Steigerung des Appetits, bekannt sind die Bittertropfen in vielen Varianten, wo bei man hier mal wieder eindringlich daraufhin weisen muss, dass die Dosis entscheidend ist – zu viel kann den Appetit erst recht abwürgen. Besser wäre auf Dauer ohnehin, mehr bittere Gemüse wie Artischocke, Chicoree oder Radicchio in den Speiseplan zu integrieren. Manchen hilft auch sauer eingelegtes Gemüse oder sauer mariniertes Eiweiß (Fleisch, Tofu o.ä.). Was Appetit auslöst, ist also auch individuell und je nach Lebensphase verschieden – ein Phänomen, das aus vielen Schwangerschaften bekannt ist.

In den letzten Jahren ist der Ingwer als Allheilmittel (u.a. auch fürs Immunsystem) immer beliebter geworden, tatsächlich passt er auch hierher, er hilft sowohl der Übelkeit ab und regt auch den Appetit an. Aber, apropos Übelkeit: Vor die Therapie haben die Götter die Diagnose gesetzt (um Dr. V. Schmiedel zu zitieren). Bei anhaltender Übelkeit handelt es sich nicht um Mangel an Appetit, da müssen zunächst die möglichen Ursachen geprüft werden, bevor man irgendwie „herumdoktert“. Wenn Übelkeit auf Medikamente zurückgeht – in extremer Form bei der Chemotherapie – braucht es Konzepte, also mehr als nur Bittertropfen. Es gibt ja nicht nur Medikamente, die als Nebenwirkung Übelkeit haben z.B. auch Säureblocker oder Antibiotika), sondern auch Medikamente gegen Übelkeit wie Antihistaminika oder Antiemetika (z.B. Metoclopramid); nichts, was man den Rest des Lebens einnehmen möchte oder dürfte, aber manchmal auch nötig.

Nicht zuletzt sollte man aber auch an die anderen beiden Standbeine der klassischen naturheilkundlichen Trias (Ernährung, Bewegung, Entspannung) denken. Bewegung und Entspannung helfen dem Appetit auf die Sprünge, gerade auch dann, wenn der Appetitmangel im weitesten Sinne mit „Stress“ zu tun hat (Arbeitsstress, aber auch Trauer, Aufregung, Angst, Sorge und Kummer). Es braucht eine Reduktion des Stresslevels von beiden Seiten: Wie wir den Stress generell besser in den Griff bekommen und wie wir mit den akuten Stress-Spitzen umgehen. Es klingt immer so unspektakulär und daher vielleicht wenig durchschlagskräftig, aber das täuscht: Bewegung und Entspannung sorgen oft für durchschlagenden Erfolg.

Zuletzt erinnern wir uns aber daran, dass manche Menschen bei Stress mehr „Appetit“ zeigen, von regelrechten Fressattacken geplagt werden und zunehmend mit Übergewicht zu kämpfen haben. Daher habe ich den Appetit hier in Gänsefüßchen gesetzt, denn emotionaler Hunger und Essen als Ersatzbefriedigung eher wenig mit echtem Appetit zu tun haben. Deshalb sollte man diesem Problem auch nicht mit Appetitzüglern, egal ob als Pille oder Spritze, auf den Leib rücken, sondern mit alternativen Strategien zum Umgang mit emotionalem Stress. Leicht gesagt, ich weiß. Alles beginnt damit, dass wir der Realität ins Auge blicken und nicht – wie der Franke manchmal – „bassd scho“ sagen, wenn nichts mehr passt!

Text: Christoph Wagner, NHV-Vors.

Bild: Tania van den Berghen auf Pixabay

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