Wie nützlich sind Nahrungsergänzungsmittel? (Teil 1)

Von Christoph Wagner (HP), Vors. des NHV Taunus

Es ist ein alter Traum der Menschheit, durch konzentrierte Nährstoffe einen Gesundheitseffekt zu erzielen. Man kann die Geschichte der Nahrungsergänzung daher vor unserer Zeitrechnung anfangen lassen. Doch der Durchbruch kam erst im 20. Jahrhundert mit der Entdeckung der Vitamine und später anderer Mikronährstoffe – und nicht zuletzt mit dem modernen Marketing. Die Einstellung zu Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) in Kreisen der Naturheilkunde hat sich im Laufe der vergangenen 50 Jahre ziemlich gewandelt.

In den 1980er Jahren war die Meinung in den Naturheilvereinen überwiegend ablehnend (ein paar Fans isolierter Vitaminpräparate fanden sich schon, aber als Außenseiter). Symptomatisch dafür stehen die Sprüche des Vollwertpioniers Max Otto Bruker: „Kauf nichts, wofür Werbung gemacht wird!“ Oder auch: „Es gibt keine Abkürzung auf dem Weg zur Gesundheit.“ Bruker ist sich treu geblieben, seine Mitstreiter haben erkennen müssen, dass sich die Zeiten ändern und man mit derart radikalen Aussagen über kurz oder lang „die eigene Kirche leerpredigt“ bzw. die Fangemeinde drastisch reduziert – denn viele Menschen wollen eben doch nicht alles der gesunden Ernährung überlassen.

Gab es in den Jahren unmittelbar nach der Jahrtausendwende seitens des Deutschen Naturheilbundes, Dachverband der Naturheilvereine, noch ziemlich kritische Stellungnahmen zur Verwendung und Verbreitung von NEM, hat man sich nach meinem Eindruck mehr und mehr von dieser undankbaren Front entfernt. Nennen wir es mal einen Zuwachs an Realismus, auch wenn der Brukersche Idealismus durchaus noch heute bei einer Minderheit Anklang findet. Und es ist ja nicht nur Idealismus, vergessen wir nicht: Die meisten (!) NEM sind überflüssig und schon allein durch die Verbreitung von Illusionen schädlich.

Nahrungsergänzungsmittel heißen so, weil sie die Nahrung ergänzen sollen mit Stoffen, die man eigentlich auch über die Nahrung einnehmen könnte. Sie enthalten zwar bestimmte Stoffe in konzentrierter Form und haben, damit verbunden, (behauptete) gesundheitliche Effekte, dürfen aber keine medizinisch-therapeutische Wirkung aufweisen und auch nicht entsprechend beworben werden. Wenn Sie jetzt „Was? Wie? Versteht das jemand?“ fragen, haben Sie völlig Recht: Darin steckt viel Widerspruch und Paradoxie – und bietet Freiraum, den die Anbieter mehr oder weniger dreist nutzen, um allerlei zu tricksen. Dennoch müssen die Präparate nicht von vorneherein alle schlecht oder sinnlos sein.

Ein typischer Trick besteht darin, dass irgendein mehr oder weniger ominöser Stoff, nehmen wir den Extrakt einer exotischen Beere, z.B. mit Bild oder im Namen des Präparats als die wirksame Zutat angepriesen wird. Darunter stehen dann Schlagzeilen wie: Unterstützt das Immunsystem, schützt vor Infekten. Würde es sich um den reinen Beerenextrakt handeln, dürfte diese Behauptung gar nicht aufgestellt werden. Da der Hersteller aber Vitamin C und Zink in das Präparat gepackt hat, darf er die Health Claims (Gesundheitsversprechen), die an diese beiden bewährten Mikronährstoffe gekoppelt sind, auf das ganze Präparat übertragen. Der Kunde denkt natürlich, die zauberhafte Beere würde ihn schützen, nichts davon ist erwiesen, und die extrem billigen Zutaten Vitamin C und Zink ermöglichen letztlich die Vermarktung des total überteuerten Präparats. Apropos Zutaten: Sie sollten sehr genau hinschauen, wie das Präparat zusammengesetzt ist. Nicht selten finden sich darin problematische Farbstoffe, Konsistenzhilfen oder Süßungsmittel. Ich würde diese Stoffe nicht lebenslang zuführen wollen.

Viele NEM werden so präsentiert, als handele es sich um ein Monopräparat, z.B. Magnesium, dabei finden sich noch allerlei andere Stoffe daran, z.B. auch B-Vitamine – allerdings in einer solch niedrigen Dosierung, dass es für den Organismus vermutlich irrelevant ist. B-Vitamine werden oral (über den Mund, also Verdauungstrakt) schlecht aufgenommen, daher braucht es im Prinzip eine Hochdosis (oder eben eine Injektion bzw. Infusion), um nachweisbare Effekte zu erzielen. Ob das aber sinnvoll ist, sofern man nicht zu einer für Mangel prädestinierten Risikogruppe gehört, da gehen die Meinungen auseinander – und auch die Studien. Es gibt abschreckende Forschungsergebnisse über die negativen Effekte von B-Vitaminen bei Krebspatienten, also bereits Erkrankten. Was dies für (vermeintlich) Gesunde heißt (deren Krebs vielleicht nur noch nicht entdeckt wurde), wissen wir nicht.

Neben den „klassischen“ NEM mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen gibt es ein breites Repertoire an Mitteln mit pflanzlichen „Wirkstoffen“. Viele davon sind eigentlich als Arzneimittel einzuschätzen. Nahrungsergänzungsmittel sind allerdings wie Nahrungsmittel frei verkäuflich und dürfen (!) daher gar nicht wie Medikamente wirken. Daher versuchen die Hersteller einen abenteuerlichen Spagat: einerseits beim Kunden den Eindruck zu erwecken, das Produkt sei wirksam wie ein Medikament, andererseits dennoch den gesetzlichen Bestimmungen für NEM zu entsprechen (weil andernfalls eine dann nötige Arzneimittelzulassung sehr aufwändig wäre). Man kann es nicht oft genug sagen: Es wird getrickst. Aber richtig ist auch: Die Situation ist so komplex, dass man nicht behaupten kann, diese Trickserei sei nur zum Nachteil der Verbraucher.  (Für viele neuere Lebensmittel oder daraus gewonnene Extrakte sowie Kräuter wäre eine Arzneimittelzulassung unrealistisch, weil zu teuer; wären sie nicht als NEM erhältlich, müssten wir darauf verzichten.)

Zum Beispiel Roter Reis Extrakt: Schon vor etlichen Jahren wurde festgestellt, dass der Extrakt aus fermentiertem Rotem Reis effektiv wie Statine (synthetische Cholesterinsenker) wirkt und den Cholesterinspiegel deutlich senkt. Aus dem Geheimtipp wurde ein Beststeller, was Pharmaunternehmen, Forscher und Zulassungsbehörden mit Argwohn betrachten. Es wird behauptet, dass Roter Reis nicht nur ähnlich effektiv wirke, sondern auch, dass die Effekte auf dem gleichen Wirkmechanismus wie bei Statinen beruhen und dementsprechend mit ähnlichen Nebenwirkungsrisiken (z.B. Muskelschwäche) verbunden seien. Entsprechend wurde die erlaubte Höchstdosis für die Roter-Reis-NEM drastisch gesenkt, sondern wären sie als Arzneimittel eingestuft worden. Das ist ein bisschen absurd, weil der Verbraucher problemlos nun eine größere Menge des NEM nehmen kann, um wieder eine de facto arzneiliche Wirkung zu erzielen.

Ein anderes Beispiel wäre Mariendistel-Präparate. Die Pflanze wirkt nachweislich leberschützend und -regenerierend. Es gibt etliche (teure) zugelassene Arzneimittel, aber auch einige Mariendistel-NEM, die sich gewissermaßen unter der Zulassung durchgemogelt haben und ihre Gesundheitsversprechen z.T. an Zusatzstoffe koppeln, was aber nicht heißt, dass diese Präparate z.B. wegen niedriger Dosis unwirksam wären (zumal man ja auch da zwei statt einer Kapsel nehmen kann).

Eine Frage, die man sich bei NEM immer stellen sollte, lautet: „Weshalb und wozu brauche ich das überhaupt?“ Besteht etwa ein Mangel an dem entsprechenden Mikronährstoff? Bei Eisen, Kalzium, Folsäure und (anderen) B-Vitaminen kann je nach Geschlecht, Alter und Lebensweise tatsächlich ein Mangel bestehen, aber einen entsprechenden Verdacht könnte man erst einmal labormäßig überprüfen. Nur bei Risiko für einen Mangel an Vitamin B12 (z.B. durch langjährigen konsequenten Veganismus oder Magen-Darm-Erkrankungen) sollte man gar nicht warten, bis ein Mangel vorliegt, dann sind nämlich oft schon irreparable Schäden eingetreten! Aber die Wirkung der Einnahme sollte dann wieder durch Laborkontrollen überprüft und angepasst werden.

Nicht vergessen möchte ich Omega 3: Diese Fettsäuren sind von weitreichender Wirkung auf allerlei Organsysteme, von Gelenken bis Immunsystem. Dies ist gut belegt, selbst wenn es auch etliche Studien gibt, die die Effekte oder deren Bedeutung in Frage stellen. Ich habe allerdings einen Widerwillen gegen Fischölprodukte (möchte gar nicht wissen, wie die hergestellt werden), zumindest wenn ich sie zeitlebens nehmen soll, und ebenso wenig kann ich mir vorstellen, pflanzliche Produkte auf Algenbasis dauerhaft zu nehmen, sofern sie problematische Zusatzstoffe wie Carrageen enthalten – und die carrageenfreien Präparate sind bisher in der Regel so teuer, dass ich mich zurückhalte.

Jetzt wird es also langsam persönlich … und ich lasse Sie in einem zweiten Teil des Beitrags in meinem Küchenschrank, Abteilung NEM, schauen: Was ich regelmäßig, aber nicht unbedingt täglich einnehme.

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Foto: © Bruno auf Pixabay

Veröffentlicht in Tipp des Monats.